
Peter Chang. Armschmuck, 1995. Die Neue Sammlung – The Design Museum. Dauerleihgabe der Danner-Stiftung, München

Peter Chang. Entwürfe (Armschmuck), undatiert. Donation von Peter Chang an Die Neue Sammlung, Juni 2014
Seit 2004, seit die Danner-Rotunde in der Pinakothek der Moderne als Raum für Autorenschmuck der Öffentlichkeit übergeben wurde, war er immer da an den Eröffnungsabenden der Neuen Sammlung, wenn die großen Schmuckausstellungen Künstler und Sammler, Schmuckbegeisterte und Museumskollegen in die Pinakothek der Moderne nach München strömen ließen.
Meist stand er am Rand der Rotunde, des Hauptraums in der Pinakothek der Moderne, dort, wo es runter geht in die Designsammlung, auf dem Weg zum Schmuckraum. Ruhig, still, seine Umgebung beobachtend. Unverkennbar in seiner braunen Lederjacke. Er selbst das genaue Gegenteil seiner farbenprächtigen, farbensprühenden Kunst. Suchte man das Gespräch mit ihm, dem Sohn eines chinesischen Vaters und einer britischen Mutter, antwortete er mit leiser, kaum wahrnehmbarer Stimme – seine Augen aber begannen zu leuchten. Immer an seiner Seite seine Frau Barbara, eine Textilkünstlerin. Ihre orange-roten Haare waren wir ein „landmark“ in der Menge der Eröffnungsgäste.
Die Rede ist von dem Schmuckkünstler Peter Chang, der am 25. Oktober 2017 in Glasgow mit 72 Jahren verstorben ist. Erst in den letzten Jahren, wenn es seine Gesundheit so gar nicht mehr zulassen wollte, suchte man ihn vergeblich in München. Im März 2016, als er als Klassiker der Moderne auf der Schmuckschau der Internationalen Handwerksmesse geehrt wurde, sahen wir ihn zur Eröffnung der Ausstellung von Thomas Gentille ein letztes Mal.
Zuvor war die Schmuckstadt München weit weniger freundlich mit ihm umgegangen, als mit manch einem seiner Kollegen. In der Liste von Auszeichnungen, die Peter Chang erhielt – darunter 1995 der Jerwood Award und im Jahr 2000 der Creative Scottland Award – suchte man lange vergeblich einen Bayerischen Staatspreis oder einen Herbert-Hofmann-Preis. Zumindest letzteren erhielt er 2003. Es war die Galerie Neon im belgischen Brüssel, die als erste auf dem Kontinent 1987 seiner Idee von Schmuck einen öffentlichen Auftritt verlieh. Ihm, der keine Goldschmiedeausbildung hatte und kein Studium im Bereich Schmuck an einer Hochschule nachweisen konnte, statt dessen aber in Liverpool ein Studium der Bildhauerei absolvierte, ein Diplom für Graphic Design in Händen hielt und gesegnet war mit einer grenzenlosen Fantasie.
Die Stadt der Beatles und der „Yellow Submarine“, des FC Liverpool und später Ort eines der größten Punk-Rock Festivals Groß Britaniens, die in den 1970er- und 1980er-Jahren ihre wirtschaftlich schwersten Zeiten erlebte, blieb bis 1987 sein Lebensmittelpunkt und Inspirationsquell. Hier gründete Peter Chang 1971 seine erste eigene Werkstatt. Arbeiten für die Fernsehindustrie (Modellbau) und für Grafikdesign Agenturen sorgten für den nötigen Lebensunterhalt.
Der Dimensionssprung von der großformatigen Plastik zum kleinformatigen Modell war hierfür von Nöten und Chang entdeckte – wohl auch durch die Arbeit für das Fernsehen bedingt – den Reiz in der Wiederverwendung von abgelegten Produkten unserer Wohlstandsgesellschaft: von Einmal-Rasierern und weggeworfenen Zahnbürsten, von ausrangierten Plastikdosen und bunten, aus der Mode gekommenen Garderobenhaken, von leer geschriebenen Filzstifthüllen und nicht länger benötigten Linearen. Allen gemeinsam das Material: Kunststoff. In den 1960er und 1970er-Jahren ein Material, das alles möglich zu machen schien für eine Gesellschaft, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg nach neuen Farben, Formen und einer neuen Identität sehnte.
Für Chang ein Material, dass man durch Erhitzen verformen und verflüssigen konnte, was sich verarbeiten ließ wie Lack, indem man es schliff und polierte. – „ Ich wollte etwas, das die Zeit, in der wir leben, widerspiegelt, und ich mochte die Idee, mit einem Wegwerfstoff zu arbeiten, der mir die Freiheit und den Luxus gab, Risiken einzugehen und Fehler zu machen. Und ich habe schon immer seine Eigenschaften gemocht, die man beim Anfassen spürt. Naturstoffe wie Holz drängen ihren eigenen Charakter auf. Plastik hingegen ist anonym“.
Neben Wand- und Tischobjekten entstanden Skulpturen im Miniaturformat. Versehen mit einem entsprechenden Mechanismus wandelten sie sich Ende der 1970er-Jahre erstmals zu einem Ohrgehänge. Ein Geschenk für Barbara. Peter Chang entdeckte das Medium Schmuck für sich. Und man fragt sich, ob nicht gar Barbara, als starke Frau hinter einem erfolgreichen Mann, den entscheidenden Anstoß zum Schmuck gegeben haben mag…
Bald entstanden die von uns allen bewunderten Artefakte aus Kunststoff, die uns dank ihrer neuartigen, außergewöhnlichen Formensprache mit den mehrschichtigen Reliefs und phantasievollen Ausformungen, ihren Mosaiken und ihren ungezählten Lackschichten, ein ums andere Mal sprachlos werden lassen. Kombiniert mit einer auf Hochglanz polierten Farbenpracht, die jeden Versuch eines Vergleichs obsolet erscheinen lässt.
Gekonnt meldete sich der akademisch ausgebildete Grafikdesigner so bei jedem seiner Werke zu Worte. Wen wundert es, dass mehrere hundert Stunden nötig waren, um einen für Chang typischen opulenten Armschmuck entstehen zu lassen. Jede Arbeit von Peter Chang strahlt dabei nicht nur einen positiven Geist aus, sondern verändert mit ihrer Fröhlichkeit auch die Aura ihrer Trägerin – „Ich möchte ein bisschen Spaß mit einbringen; ein bisschen Würze. Die Leute nehmen alles zu ernst.“
Das Schwelgen im Material, die hohe Kenntnis seiner Verarbeitungsmöglichkeiten und ein ungebändigtes Farbgespür sind die unabdingbaren Ingredienzien dieser Klein-Kunstwerke. Sie lassen nichts erahnen von der Gefahr im Umgang mit ihnen, wenn der beim Arbeiten anfallende Staub gefährliche Chemikalien transportiert.
Jedes Stück ein Unikat, das uns vergessen lässt, dass es aus diesem heute so verteufelten Kunststoff besteht, kommt es doch daher wie ein bislang unbekanntes Juwel.
Peter Chang öffnete dem Autorenschmuck neue Wege und war ein absoluter Meister seiner Kunst.
Wir werden ihn vermissen.
Der Artikel wurde zuerst veröffentlicht in Art Aurea